Presse

Das prekäre Leben der Dinge

Jürgen Oschwald im Freiburger Kunstraum Foth.

Autor: Dietrich Roeschmann
Badische Zeitung, Kultur, 24.09.2014

Vor ein paar Jahren zeigte die Freiburger Galerie Post neue Arbeiten von Jürgen Oschwald. Die Vernissage war gut besucht, das Buffet reichhaltig – ein perfekter Abend. Bis auf den Umstand, dass nach der Party eine Skulptur fehlte. Statt dieses kleinen Holzobjekts mit gelben Borsten, das ein bisschen aussah wie der Comicvogel Woody Woodpecker im arte-povera-Look, gähnte auf dem Sockel eine große Leere. Nach drei Tagen tauchte das Objekt wieder auf – jemand hatte es in den Briefkasten der Galerie geworfen.

Heute, sechs Jahre später, steht das niedliche Ding azwischen Hunderten anderer Objekte auf dem Boden im Kunstraum Foth und hat alle Mühe, sich ohne Sockel gegen die Masse konkurrierender Gegenstände zu behaupten. Für den Woodpecker-Dieb von 2008 wäre das eine gute Gelegenheit, es noch einmal zu versuchen – diesmal ganz legal und ohne schlechtes Gewissen.

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Im Meer der Dinge: Holzobjekt mit Borsten, Foto: Jürgen Rösch, Freiburg

„Jeder nimmt sich was er brauchen kann“ heißt die Soloschau, die Jürgen Oschwald derzeit bei Markus Foth zeigt. In schöner Ordnung liegen hier Werkzeuge am Boden, Boule-Kugeln und Farbtuben, ein Tischstaubsauger, alte Playboy-Hefte, ein defektes Leuchtschild und so weiter. Der Titel ist Programm: Wer hier etwas entdeckt, was ihm gefällt – die hübsche Designerlampe aus den Fünfzigern zum Beispiel oder das Stuhlgestell aus Oschwalds letzter Performance im Freiburger Kunstverein –, der darf es mitnehmen. Gratis. Nach und nach, so die Idee, wird sich das Bild der Ausstellung durch den Zugriff des Publikums verändern. Doch schon beim Betreten des Galerieraumes wird klar, dass das nicht die einzige Option dieser Schau ist. Oschwalds Versuchsanordnung wirft grundsätzlichere Fragen auf – über unser Verhältnis zu Eigentum, über den Wert der Dinge, oder auch über die Durchlässigkeit der Grenzen zwischen Kunst und Alltag.

Alle Gegenstände stammen hier aus dem persönlichen Besitz von Jürgen Oschwald. Man kann das als Selbstporträt lesen – der Künstler und seine gescheiterten Objektbeziehungen –, aber auch als Geschichte der Dinge selbst: Irgendwann treten sie ins Leben und begleiten einen durch den Alltag – weil sie nützlich sind oder schön, oder weil Erinnerungen an ihnen hängen. Später dann rutschen sie langsam aus dem Blickfeld, finden sich im Keller wieder, und irgendwann stellt sich die Frage: Wann ist ein Ding reif zu gehen? Wenn es keine Funktion mehr hat? Wenn die Erinnerung, die sich mit ihm verbindet, stark genug ist, um auch ohne Objekt zu überleben? Wenn sich das Gefühl einstellt, dass seine Anwesenheit mehr einschränkt als ermöglicht?

Jürgen Oschwald hat sich die Zeit genommen, Antworten auf diese Fragen zu finden, und reicht jetzt weiter, was für ihn weg kann. Indem er das Schicksal seiner Dinge jedoch den Ausstellungsbesuchern überlässt, speist er sie nicht nur in einen neuen Kreislauf ein, sondern gibt zugleich die Kontrolle über seine Bodenarbeit aus der Hand. Was wird übrig bleiben, wenn die Gäste gegangen sind? Wird der Schnäppchenjägerinstinkt über ihren Respekt siegen und Schneisen der Verwüstung in die Installation schlagen? Oschwald, der sich mit seinen Arbeiten – sei es als Maler oder Bildhauer – schon immer gerne auf dem schmalen Grat zwischen Gelingen und Scheitern bewegt, ist selbst gespannt. Er will den Auflösungsprozess seiner Schau fotografisch dokumentieren. Am Ende wird man auf diesen Bildern dann auch sehen können, ob Woody Woodpecker – bei Galerie Post noch für 400 Euro gehandelt – den Sturz vom Sockel der Kunst ins Meer der abgelegten Dinge überlebt hat. Er könnte seinem neuen Besitzer viel über das prekäre Dasein als Kunstwerk erzählen.

— Jürgen Oschwald: Jeder nimmt sich, was er brauchen kann. Kunstraum Foth, Barbarastr.10, Freiburg, Mi-Fr 16-19h, bis 21.11.

Tresore gestapelt

Annette Hoffmann, „Der Sonntag“, 6. April 2014

Freiburger JÜRGEN OSCHWALD erhält Förderpreis für Bildhauer
Ausstellung in Staufen: KASSENSTURZ


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Foto: Jürgen Rösch, Freiburg

Wenn Banken Kassensturz machen, wissen sie,wo sie stehen.Wenn der Freiburger Künstler Jürgen Oschwald Kassensturz macht, verändert er dieWege und Betriebsabläufe der Sparkasse in Staufen.
Ist das Design, kann das weg?
Manchmalmuss man nur einen Schritt zur Seite treten, damit einem das Vertraute fremd wird. Die Begrünung an Straßenbefestigungen, die Standardisierungen in Supermärkten, Leitsysteme, so ausgeklügeltwie auf Flughäfen, um eine Flasche Milch zu besorgen.
Banken wie eine Sparkasse sind auch solche Orte. Muss ihre Inneneinrichtung doch ein gewisses Maß an Solidität ausstrahlen – denn Hand aufs Herz, würde man ihnen andernfalls sein Geld anvertrauen? – und muss doch der Service gleichzeitig so effizient und so persönlich wie möglich sein.

Jürgen Oschwald ist ein Künstler, der solche Räume wie eben eine Sparkasse gerne mal ganz anders organisiert. Der Schreibpulte und Geldautomaten als Skulpturen wahrnimmt. Und dann sieht man plötzlich, dass die Bewegungen, die diese Funktionen vorgeben, von eher stotternder Eleganz sind, dass der Abfallbehälter viel zu tief angebracht ist, der Aufdruck viel zu groß und was sollte man hier auch schon wegschmeißen außer vielleicht einem falsch ausgefüllten Überweisungsschein?
Banken übersetzen etwas derart Symbolisches und häufig Unsichtbares wie Geld in Handlungen wie Überweisen, Abheben, Sparen, Investieren; Kunst steht für sich. In seiner Ausstellung „Kassensturz“, die im Rahmen der Verleihung des „Förderpreises für junge Bildhauer“ durch die Sparkasse Staufen-Breisach und die Stiftung Kurt Lehmann stattfindet, hat der 45-Jährige mit allem gearbeitet, was nicht fest verschraubt war, es neu arrangiert, gestapelt, zusammen oder auch mal weggestellt und die Sparkasse als Ausstellungsort für bereits bestehende Skulpturen und Bilder genutzt.
– Design für die Musik- und Clubszene –
Jürgen Oschwald ist in Freiburg ein Künstler mit großer Präsenz.
Selbst wenn man noch nie in einer seiner Ausstellungen war, ist man wahrscheinlich an einer seiner Arbeiten vorbeigekommen. Als Grafiker hat er vor allem der Musik- und Clubszene ihr charakteristisches Design gegeben. Wenn Rainer Trüby der Sound von Root down ist, dann haben Jürgen Oschwalds Plakate mit ihrer Mischung aus Retro und Sex der Reihe ihr wiedererkennbares Erscheinungsbild gegeben.

In der Sparkasse Staufen hat man durchaus Erfahrung mit Kunst. Nach Klaus Merkel ist Jürgen Oschwald der zweite Künstler, der mit dem mit 5000 Euro dotierten Preis ausgezeichnet wird, und man verwaltet den Nachlass des Staufener Bildhauers Kurt Lehmann. Seine Skulptur „Der Hirte“ ist nun Teil eines Ensembles von Jürgen Oschwald, das die Kinderecke der Bank übernommen hat und einen Tisch als Sockel für ein auf dem Kopf stehendes Regal zweckentfremdet. Zwei Regalbretter unterteilen das Fach in drei Dreiecke, darüber steht eine kleine Holzskulptur Oschwalds. Das sieht ein bisschen aus, als sei ein Werk von Constantin Brancusi in die Gegenwart übertragen worden. Und zugleich ironisiert es die Tendenz zeitgenössischer Künstler, für ihre Arbeiten gleich die Ausstellungsdisplays mitzuliefern.

WeißeWandflächen, an denen ansonsten Kunstdrucke aufgehängt werden, bilden aneinander gelehnt nun eine geschwungene Linie, die sich an den überdachten Arbeitswaben entlangzieht. Und zumindest bei den drei übereinander gestapelten Tresoren gibt es kein Vorbeikommen. Ganz oben steht noch ein kleiner Mülleimer, dessen Aufdruck „Abfall“ man zwar nicht als kapitalismuskritischen Kommentar lesen muss. Aber dennoch nimmt er diesen vertrauenswürdigen Möbeln einiges von ihrer Bedeutung.
Zu seinen Arbeiten hat Jürgen Oschwald häufig ein eher unsentimentales Verhältnis. Viele seiner Werke zerlegt er später wieder in ihre – nicht selten gefundenen – Einzelteile. Vor einiger Zeit hat er angefangen zu malen. Farbe ist in seinen Bildern nicht nur Ausdrucksmittel, sondern auch Träger für kleine Holzblöcke. Neues entsteht, wenn sich Altes auflöst, aber seine Strukturen sichtbar bleiben.


JÜRGEN OSCHWALD,
Kassensturz,
Sparkasse Staufen-Breisach,
Münstertälerstrasse 2, Staufen.
Montag 8.30 bis 12.30 Uhr, 14 bis
18 Uhr, Dienstag, Mittwoch, Freitag,
8.30 bis 12.30 Uhr, 14 bis 17
Uhr, Donnerstag, 8.30 bis 12.30
Uhr, 14 bis 19 Uhr. Bis zum 30. Mai.

Arte TV Bonus

Arte TV Trailer
Temporäre Skulptur: Jürgen Oschwald

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http://videos.arte.tv/de/videos/metropolis-bonus-video--7150830.html

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Erst auf dem Handy-Display – dann in Öl

Post Fine Arts zeigt zeitgleich:
Jürgen Oschwald / Marco Schuler
,
Radierungen von David Gnandt
und Werke der Neuen Sachlichkeit.

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Marco Schuler, der agile Aktions- und Objektkünstler aus Schliengen ist immer für Überraschungen gut. Eher ungewöhnlich aber, dass der am menschlichen Körper und dessen Aktionsradius orientierte Experimentator jetzt auch im Duo auftritt. Bedingung für die Gemeinschaftsarbeit mit Jürgen Oschwald, die jetzt in der Freiburger Galerie Post zu sehen ist, war eine von Wilfried Post mit finanzierte und dokumentierte Aktion in Sélestat namens "Flugmodus-Projekt". Dort lernten die beiden so unterschiedlichen Künstler einander kennen und schätzen, man malte zusammen – zunächst auf dem Handy-Display, dann auch in Öl. Die Reihe formschöner kleiner Strukturbilder, die Winfried Post jetzt an einer der Längswände seiner Galerie präsentiert, ist die exakte Übertragung jener Fingerzeichnungen vom I-Phone aufs Paneel.

Minimalistische Malerei in Reinform

Zwei Möglichkeiten der Weiterarbeit bieten sich ausgehend von diesen Bildern – eine radikale Reduktion gemeinsam entwickelter Formen oder eine weitere Kombination von Bildelementen. Weitaus überzeugender ist in der Ausstellung die erste Variante. Es sind die Platten aus der demontierten Küche des Malers Klaus Merkel, welche Oschwald und Schuler mit großen latent geometrischen Formen und leuchtend lackfarbigen Form-Fragmenten bemalten – minimalistische Malerei in Reinform, in der sich der rein abstrakte Zugang Oschwalds mit Schulers Körperlichkeit verbindet.

Paßstück zwischen zwei Egos

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Paßstück zwischen zwei Egos
22. 08. 2011
Dietrich Roeschmann

Jürgen Oschwald und Marco Schuler haben die Staufener Galerie Fluchtstab in den Flugmodus befördert.

Kunst ist immer eine Frage von Entscheidungen. Und sei es die Entscheidung, das Entscheiden zu delegieren. Zum Beispiel an einen guten Freund. Marco Schuler und Jürgen Oschwald sind Freunde. Und sie sind Künstler. In der Regel macht jeder sein eigenes Ding. Der eine untersucht die Grenzen seines Körpers im Widerstand gegen die Welt, um herauszufinden, aus welcher Materie ein Zustand wie das Leben besteht. Der andere steckt die Dinge, die dieses Leben so abwirft, zusammen, um zu sehen, wann Materie in Poesie umschlägt. Und dann haben die beiden irgendwann gemerkt, dass da etwas passt. Ein ähnlicher Blick auf die Dinge, ein Einverständnis darüber, wie aus diesen gefundenen Dingen Kunst werden kann, und dass vier Augen mehr sehen als zwei. Da ist zum Beispiel dieses alte, verbogene Rohr, das Schuler und Oschwald vergangenes Frühjahr im Vorfeld ihrer Ausstellung im elsässischen Selestat fanden: sie haben ein wenig damit rumhantiert, sich gefragt, was man damit machen könnte, und dann kam ihnen die Idee mit den zwei Besen, die sie an den Rohrenden montierten. Typisch Oschwald, könnte man sagen. Eine Slapstick-Skulptur nach dem Kippenberger-Motto „Heute denken, morgen fertig“ – witzig, absurd, auch ein bisschen albern. Doch am Ende ist dieser Doppelbesen mehr als das. Ähnlich wie die legendären „Paßstücke“ von Franz West befragt er die Grenze zwischen Skulptur und Gebrauchsgegenstand, zwischen Objekt und Körper, und das, was ihre Konfrontation hervorbringt. Die Antwort liefern die beiden in einem Video, das wiederum wie eine typische Schuler-Arbeit daherkommt: Sie nehmen das unhandliche Objekt als Werkzeug ernst und versuchen damit gemeinsam die Galerie auszufegen. Das Scheitern dieses berserkerhaft angegangenen Vorhabens hinterlässt deutliche Spuren an den Galerienwänden – Kratzer, Schrammen, Dellen –, die anschließend wie Trophäen in Rahmen hinter Glas präsentiert werden. Ein Videostill dieser Gemeinschaftsarbeit, das die Künstler wie auf dem unscharfen Pressefoto eines Eishockey-Turniers in der Galerie herumtoben zeigt, dient ihnen wiederum als Vorlage für eine Edition, für die sie – nun in der Rolle als Maler – den Bewegungsablauf in immer neuen zeichnerischen Kürzeln durchdeklinieren und damit die Fotografie überschreiben.

Das utopische Potenzial, das in diesem kollaborativen Arbeiten steckt, ist in ihrer aktuellen Ausstellung in der Staufener Galerie Fluchtstab förmlich greifbar. Zu sehen sind die Resultate eines kalkulierten Kontrollverlusts, der in der Materialwahl auf den Zufall des Findens und im künstlerischen Prozess auf die freie Assoziation vertraut. Die Grenzen zwischen dem, was man bei Schuler und Oschwald „sculpture automatique“ nennen könnte, und der Performance-Kunst sind fließend. Jedes ihrer Objekte, jede Installation wirkt wie das Form gewordene Ergebnis eines Rituals, und nicht zufällig haftet vielen ihrer Arbeiten etwas Fetischhaftes an. So wird aus einer Stuhllehne und einem Metallrohr ein tiefseefischartige Maskenobjekt, eine gefaltete Eisentafel, auf der früher Kinder geschrieben haben, mutiert zu einer Origami-Skulptur, die an ein Kampfflugzeug erinnert. Ein Putzschwamm, in den Schuler und Oschwald drei Pinsel gebohrt haben, krönt ein grob aus Styropor geschnitztes Schädelfragment, und die Schöne, die sich als nackte Freiheitsstatue in Kreuzigungshaltung an einer hoch aufragenden Latte räkelt, trägt einen aus Pappe geschnittenen Totenkopf-Helm, der jedem Wrestler gut zu Gesicht stehen würde. Auffallend ist, wie gut sich in diesen absurden Assemblage-Objekten Schulers Humor und Oschwalds Poesie vertragen. Vordergründig geht es dabei natürlich immer auch um die Behauptung, dass man sich ganz ohne Worte versteht – eben so, wie es nur die wahre, die tiefe, die echte Männerfreundschaft erlaubt. Tatsächlich steht hier jedoch etwas anderes im Zentrum. Mit ihrer Strategie des gegenseitigen Beobachtens, Agierens und Reagierens entwerfen Marco Schuler und Jürgen Oschwald in ihren aktuellen Arbeiten ein äußerst produktives Künstlersubjekt, das mit vier Händen jede Gelegenheit ergreift, die Überschüsse seiner beiden Egos in extrem unterhaltsame, kurzweilige und auf wunderbar selbstverständliche Weise zärtliche Bahnen zu lenken.


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Schüler überflügelt Lehrer

Der Künstlerbund Baden-Württemberg schöpft die räumlichen Möglichkeiten in Offenburg aus.

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Der Dialog – oder die Konkurrenz? – von Schüler und Lehrer ist das Prinzip von Popart-Künstler Werner Berges (Schallstadt): Er setzt risikoreich gestapelte Stühle von Jürgen Oschwald gegen bodenständige Eisenguss-Objekte seines Lehrers Dietrich Schön.